Impfneid – aber bitte mit Gönnung

Gepostet von

von Celina Bernau, Psychologiestudentin an der WWU Münster

Kommentar

Disclaimer: Die in diesem Artikel benutzten Begriffe „schwarzer“ und „weißer“ Neid werden aufgrund ,angelnder Alternativen benutzt, sollten jedoch kritisch hinterfragt werden. Es sollen keine falschen Assoziationen entstehen und wir wollen keineswegs Rassismus in Sprache aufrechterhalten.

Der Sommer kommt, erste Biergärten öffnen, Konzerte und Veranstaltungen kündigen sich an: Eine Welle von „Lockerungen“ durchzieht das Land und eine Rückkehr zur „Normalität“ erscheint in nicht allzu weiter Ferne. Ein Grund zur Freude könnte man meinen. Aber neben diesem erleichternden Gefühl kommt bei sehr vielen Menschen eine Mischung aus vielen Gefühlen wie Angst, Ärger und Wut hinzu: der Neid.

Längst sind nicht alle Bürger:innen Deutschlands einmal, geschweige denn zweimal, geimpft. Schaut man sich jedoch mal rechts und links um, redet mit Freunden oder hört zufällig den Gesprächen anderer Spaziergänger:innen oder Supermarktbesucher:innen zu, hat man schnell das Gefühl, dass fast jeder schon einen Stich in den Oberarm bekommen hat. Schnell überlegt man: War diese Person wirklich aufgrund ihres Alters, Berufs oder Gesundheitszustandes impfberechtigt? Oder hatte sie einfach Glück, vom Hausarzt angerufen zu werden, da jemand von einem Impftermin abgesprungen ist, erlangte den Termin über „Vitamin B“ oder stellte sich schnell als Wahlhelfer zur Verfügung? Ganz „gerecht“ erscheint die Reihenfolge von Impfungen schon länger nicht mehr. Aber anstatt nun zu diskutieren, was gerecht sei und was nicht, wie man die Prioritätengruppen, die Impfreihenfolgen oder die Impforganisation hätte umgestalten müsste, möchte ich diesen Beitrag jenem Gefühl widmen, welches mit diesen Beobachtungen einhergeht: dem „Impfneid“.

Googelt man nach einer Definition von Neid, wirft die Suchmaschine Folgendes aus: „Empfindung, Haltung, bei der jemand einem anderen einen Erfolg oder einen Besitz nicht gönnt oder Gleiches besitzen möchte“. Das ergibt auf den ersten Blick Sinn. Im Fall der Impfung möchte man also „Gleiches besitzen“, indem man ebenfalls geimpft wird. Denn damit geht nicht nur eine erhöhte Immunität gegen das Virus einher, sondern bald auch die Möglichkeit, einkaufen zu gehen, im Restaurant zu essen oder in den Urlaub zu fahren, ohne sich testen zu lassen. Freiheiten zu erlangen, die bis vor Kurzem ganz normal waren. Dass man anderen Personen eine Impfung nicht gönnt und daher Missgunst empfindet, wird wahrscheinlich bei den wenigsten Personen zutreffen, muss aber ja auch durch das Wort „oder“ in der Definition nicht zwingend ein Teil von Neid sein. Meistens hört man sogar, dass sich für die geimpfte Person gefreut wird. Nach dem Motto „Toll, dass du geimpft bist. Ich wäre aber auch gerne geimpft“. Ob wirklich größtenteils keine Missgunst empfunden wird, lässt sich natürlich nur aufgrund von subjektiven Beobachtungen nicht feststellen.

Neid als Selbstwertbedrohung

Hinzu kommt, dass Neid in der Gesellschaft als negatives Gefühl wahrgenommen wird, welches es zu vermeiden gilt. Soziale Vergleiche, die Bedingung für die Entstehung von Neid, können nämlich auf einen Mangel hinweisen („Du hast etwas, was ich nicht habe“). Sie bedrohen damit unseren Selbstwert, was wir natürlich um jeden Preis vermeiden bzw. nicht wahrhaben wollen. Je näher uns der Mensch steht, mit dem wir uns vergleichen, desto eher entsteht Neid. Wird beispielsweise ein Politiker oder Promi geimpft, nehmen wir diese Information neutral auf. Sehen wir jedoch, dass unsere Freund:innen, die sich mit uns in einer ähnlichen Altersgruppe, sozialen Schicht, Berufsgruppe o.ä. befinden, nach der Reihe zur Impfung antreten und wir noch längst keinen Termin haben, führt dies viel eher zu Neid.

Die wenigsten Personen würden jedoch zugeben, dass sie neidisch sind, egal, ob auf das Auto des Kollegen, die neue Wohnung der Freundin oder eben eine Impfung. Neid ist schlecht, lernt hier zu Lande schon jedes Kind. Bloß nicht zeigen, was man hat. Den Satz „über Geld spricht man nicht“ scheinen die Deutschen als generelle Lebensweisheit zu verstehen, unter keinen Umständen Neider generieren zu wollen. Während in Schweden das Einkommen jeder Person öffentlich einsehbar ist und in den USA der Nachbar oder die Nachbarin klatscht, wenn man in seinem Beruf aufgestiegen ist, sprechen wir Deutschen nur ungern, über das, was wir haben oder gerne hätten. Hinter vorgehaltener Hand wird dann auf der Party über das höhere Gehalt im neuen Job oder die getätigte Investition in das Eigenheim gesprochen. Dieses Zeigen bzw. Nicht-Zeigen unseres Besitzes führt jedoch keinen Falls dazu, dass die deutschen Bürger:innen weniger neidisch sind, als die Bewohner:innen anderer Länder.

Neidgesellschaft Deutschland?

Im Gegenteil: Deutschland wird sogar oft als „Neidgesellschaft“ bezeichnet. Wir sprechen so wenig über das, was wir haben, eben weil wir die Gefahr, dass unser Gegenüber Neid und/oder Missgunst empfindet als viel zu hoch einschätzen. Tatsächlich erlebe auch ich, dass einige Personen (die bspw. über „Vitamin B“ geimpft wurden) ihre Impfung verschweigen. Wahrscheinlich aus der Angst, dass andere neidisch werden oder sie für den Weg, wie sie ihre Impfung erlangt haben, verurteilen. Generell wollen wir also weder selbst Neid empfinden, noch, dass andere auf uns neidisch sind. Dies erscheint utopisch zu sein, leben wir doch in einer Gesellschaft und daher mit vielen anderen Menschen zusammen. Wir kommen um soziale Vergleiche und damit auch um das Erleben von Neid nicht herum. Und das ist in gewissen Maßen auch gut so.

Betrachtet man das Gefühl des Neides nämlich genauer, wird ersichtlich, dass Neid (wie jedes andere Gefühl) auch positive Seiten haben kann. Man kann in „schwarzen“ und „weißen“ Neid unterteilen. „Schwarzer Neid“ ist der Neid mit Missgunst. Die Ausgangslage erscheint nicht gerecht, dem Beneideten wünscht man alles Schlechte. Er kann zu Wut und Ärger führen und dadurch negatives teilweise bösartiges Verhalten nach sich ziehen. „Aus Versehen“ touchiert man beim Ausparken das neue Auto des Kollegen und meldet den entstandenen Schaden nicht der Polizei. Jedoch habe ich schon am Anfang des Beitrags festgestellt, dass man beim Impfneid wahrscheinlich eher von einem Neid ohne Missgunst sprechen kann, oder diese zumindest nicht gezeigt wird.

Aber ist der Impfneid dann weißer Neid?

Der „weiße“ Neid ist sozusagen der gute Teil vom Neid, da er anspornend wirken kann. Wenn ich sehe, dass jemand hat, was ich nicht habe, bin ich motivierter und ehrgeiziger an meiner Situation oder meinem Verhalten etwas zu ändern. Ich möchte erreichen, was der andere schon erreicht hat. Voraussetzung ist natürlich, dass wir unsere Bemühungen nicht als aussichtslos beurteilen, also eine Chance sehen, Gleiches erreichen zu können. Und genau das ist das Problem beim Impfneid. Ob wir geimpft werden oder nicht, scheint größtenteils nicht in unserer Hand zu liegen. Der Staat entscheidet (mehr oder weniger), wer wann dran ist. Wir können uns vielleicht um einen Termin beim Hausarzt bemühen, aber viel mehr Einflussmöglichkeiten haben wir nicht. Eine in unserem demokratischen Staat und individualistischen Kultur für uns ungewohnte und befremdliche Situation. Die Konsequenz: Man fühlt sich hilflos, den Maßnahmen ausgeliefert, entwickelt vielleicht sogar einen Hass auf die Politik. Man versucht, soweit es eben geht, doch etwas zu tun, um möglichst schnell an eine Impfung zu kommen, zum Beispiel, indem man sich beim Hausarzt auf eine Warteliste schreiben lässt oder einen der Impftermine zu ergattern versucht, die aus unterschiedlichen Gründen doch frei vergeben werden. Dass gefälschte Impfpässe seit Bekanntgabe der Lockerungen für geimpfte Personen im Umlauf sind, zeigt dass einige Menschen sogar zu rechtswidrigem Verhalten bereit sind.

Noch ist der „weiße“ Impfneid bei den meisten Personen (hoffentlich) nicht in „schwarzen“ Impfneid übergegangen. Noch gönnen wir unseren Mitmenschen die Impfung. Und das, obwohl wir so wenig Einflussmöglichkeiten auf den Zeitpunkt unserer Impfung haben. Eine gefährliche Kombination, dieser „weiße“ Neid ohne Chancengleichheit. Er kann sehr schnell in „schwarzen“ Impfneid umschlagen. Dann gönnen wir den anderen die Impfung nicht mehr, werden wütend und frustriert. Und genau da müssen wir aufpassen: der „weiße“ Impfneid darf sich nicht in „schwarzen“ Impfneid wandeln. Wir müssen uns immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass jede weitere geimpfte Person für alle von Vorteil ist, dass sie ein Schritt in die richtige Richtung bedeutet. Uns für, aber auch mit den anderen freuen. Solidarität zeigen. Kurz gesagt: Nicht vergessen, dass wir anderen ihre Impfung gönnen. Klatschen, wenn der Nachbar oder die Nachbarin geimpft wurde.

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