„Hauptsache weg!“ – Britische Abschiebeflüge in wahllose Drittländer

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Wenige politische Vorhaben lassen so tief blicken, wie das neue Migrationskonzept der britischen Regierung unter Boris Johnson. Etwa 10.000 Menschen überquerten seit Beginn des Jahres in Schlauchbooten und auf LKW versteckt den Ärmelkanal, um sich nach Monaten oder sogar Jahren des Krieges, der Vertreibung und der Flucht oder auch des Hungers ein neues Leben in Großbritannien aufzubauen. Angesichts der sogenannten Flüchtlingswelle 2015 scheint diese Zahl äußerst gering, wie in vielen europäischen Gesellschaften aber sorgen Rassismen und Populismus aber für eine überwiegende Ablehnung der (nach britischem Recht) illegal Einreisenden.

Um seine derzeit äußerst wackelige Beliebtheit ausbauen zu können, setzt Premier Boris Johnson deshalb nun auf eine neue Migrationsstrategie. Weder möchte er Geflüchtete integrieren, noch in ihre kriegsgebeutelten Heimatländer zurückschicken. Stattdessen hat er einen Deal mit dem ostafrikanischen Land Ruanda ausgehandelt. Für die Zahlung von umgerechnet etwa 144 Millionen Euro verpflichtete sich Ruanda, eine zunächst unbegrenzte Zahl von Geflüchteten aus Großbritannien aufnehmen zu müssen.

Schnell sorgte das Vorhaben für Kritik. Unter anderem die Vereinten Nationen, die Europäische Union und ein Verbund aus über 150 Nichtregierungsorganisationen äußerten ihren Protest. Der Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen misst Lebenserwartung, Schulbildung und durschnittliches Einkommen pro Kopf und listet Ruanda auf Platz 160 von 189 weltweit. Wenn also schon Großbritannien (HDI Platz 13) mit wenigen Tausend Geflüchteten überfordert ist, wie soll Ruanda dann diese vermeintliche Belastung stämmen?

Der tatsächliche Verbleib der Geflüchteten düfte sowohl Großbritannien als auch Ruanda relativ egal sein. Zwar verpflichtete sich die Regierung in Kigali dazu, Geflüchteten Wohnung, Nahrung und eine Ausbildung zur Verfügung zu stellen, unabhängig überprüft wird dies jedoch nicht. Stattdessen ist davon auszugehen, dass die Ausgewiesenen in dem ihnen völlig fremden Land vollständig auf sich alleine gestellt sein werden – ein Land, in dem ohnehin 60 Prozent der Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben, 20 Prozent sogar unter der absoluten Armutsgrenze. Doch die ausgehandelten 144 Millionen Euro entsprechen etwa einem Zehntel der gesamten jährlichen Staatseinnahmen Ruandas.

Eigentlich hätte die erste Maschine nach Ruanda am Dienstagabend vom britischen Militärflugplatz Wiltshire abheben sollen. Geplant war die Abscheibung von sieben Geflüchteten, vor allem aus dem Irak. Ursprünglich sollten sogar 131 Männer nach Ruanda ausgeflogen werden, Anwälte konnten diese Zahl jedoch deutlich senken.

Nun sorgte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dafür, dass auch die sieben verbleibenden Geflüchteten vorerst nicht in das Drittland Ruanda ausgewiesen werden dürfen. Die Richter:innen begründeten ihre Entscheidung damit, dass selbst in Großbritannien noch nicht abschließend geklärt sei, ob das von der Regierung geplante Vorhaben überhaupt rechtens sei. Zwar hatte ein britisches Gericht die Flüge grundsätzlich erlaubt, die rechtliche Lage ist jedoch äußerst kompliziert, berührt internationales Recht wie die Genfer Konvention. Die britische Regierung muss sich an das Urteil aus Strassburg halten, schließlich ensteht die Zuständigkeit durch die Mitgliedschaft des Landes im Europarat, nicht durch die Europäische Union, aus der Großbritannien ausgetreten ist.

Doch letztendlich hat auch dieses Urteil nur eine aufschiebende Wirkung. Einerseits wird ein Gericht in London die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Abschiebungen im Juli endgültig klären, andererseits hat Boris Johnson bereits angekündigt, den Human Rights Act, das Gesetz, welches die europäischen Menschenrechte in britisches Recht umwandelt, gegebenenfalls ändern zu wollen.

Johnson geht es nicht um Moral oder dem Wohl der Bevölkerung oder gar der Geflüchteten. Nach dem Partygate-Skandal und den innerparteilichen Zankereien braucht Johnson Erfolge, die in der Bevölkerung beliebt sind. Dass dies nun Abschiebungen von Geflüchteten nach Ruanda sein sollen, lässt auch in die britische Gesellschaft tief blicken.

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