Das GKV-Stabilisierungsgesetz und die aufgebrachten Zahnärzt:innen

Gepostet von

von Josephine, praktizierende Zahnärztin

Die Schlagzeilen beherrscht es nicht, dennoch rumort es gewaltig in der zahnärztlichen Standespolitik. Viel zu intensiv sind die anderweitigen, derzeit diskutierten Themen – Ukraine, Corona, die Queen und, ach ja, der Klimawandel. Und seien wir ehrlich, Zahnärzt:innen, die sich über ihr Honorar beschweren, sind keine klassischen Sympathieträger. Aber was ist dann das Problem mit GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, dem Auslöser des Unmutes?

Das was?

Der Entwurf für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz wurde Ende Juli vom Bundeskabinett verabschiedet. Mit dem Gesetz soll ein siebzehn Milliarden Euro großes Loch im Haushalt der gesetzlichen Krankenkassen verhindert werden, dass unser Gesundheitsminister Karl Lauterbach von seinem Vorgänger geerbt haben soll. Zusätzlich werden unsere gesetzlichen Krankenkassen durch den demographischen Wandel, Corona, den medizinisch-technischen Fortschritt und steigende Löhne durch Fachkräftemangel zunehmend belastet. Um dieses Defizit zwischen Einnahmen und Ausgaben zu schließen, haben die Krankenkassen ein Werkzeug, und zwar Zusatzbeiträge. Grundsätzlich zahlen wir von unserem Lohn 14,6% als allgemeinen Beitrag an unsere Krankenversicherung. Die Krankenkassen können individuell einen Zusatzbeitrag festlegen, je nachdem, wie sie finanziell aufgestellt sind. Der Zusatzbeitrag liegt aktuell im Durchschnitt bei 1,3%. Wenn nun die Ausgaben deutlich steigen, werden die Zusatzbeiträge erhöht und belasten die Versicherten, oder es entsteht ein Finanzierungsdefizit. Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz möchte sowohl dem Defizit vorbeugen, als auch die Belastung der Versicherten möglichst gering halten und die Last auf möglichst vielen Schultern verteilen.

Die Idee, frühzeitig einzugreifen um die Finanzen zu stabilisieren, ohne die Beitragszahler:innen übermäßig zu belasten, erscheint im Angesicht unserer anderen maroden Sozialversicherungssysteme (z.B. gesetzliche Rentenversicherung) nach einem sinnvollen Ansatz. Aber wie steht es denn konkret um die Finanzen der GKV? Aktuell haben unsere Krankenkassen noch kein Finanzdefizit. Im ersten Halbjahr 2022 gab es ein Defizit von 287 Mio. Euro bei Gesamtausgaben von 143,8 Milliarden Euro. Trotzdem werden für das Jahr 2022 schwarze Zahlen prognostiziert, außerdem haben die Krankenkassen insgesamt Finanzreserven von 9,6 Milliarden Euro. Das Finanzierungsproblem entsteht erst bei prospektiver Betrachtung: Im kommenden Jahr fällt ein Steuerzuschuss von 14 Milliarden Euro weg, der im Zuge der Corona-Pandemie eingerichtet wurde, außerdem wird mit steigenden Ausgaben gerechnet. Das GKV-Finanzstabilisierungspaket soll nun also frühzeitig verhindern, dass das Defizit allein durch Zusatzbeiträge ausgeglichen wird.

Und was plant nun der Gesetzentwurf?

Der Entwurf kombiniert vermehrte Einnahmen mit reduzierten Ausgaben. Grundsätzlich fließen alle Einnahmen für die GKV in den sogenannten Gesundheitsfond, wobei die Einnahmen von den Versicherten, deren Arbeitgeber:innen, anderen Sozialversicherungsträgern und einem Bundeszuschuss kommen. Aus diesem Gesundheitsfond werden den Krankenkassen die Finanzmittel zugewiesen nach Anzahl und Struktur der Versicherten. Die Einnahmen in diesen Gesundheitsfond sollen durch diverse Posten gehoben werden: Die Krankenkassen müssen ihre Finanzreserven an den Gesundheitsfond zurückgeben und die Obergrenze des Gesundheitsfonds wird gesenkt, sodass mehr Mittel an die Krankenkassen zugewiesen werden können. Außerdem wird der Bundeszuschuss um zwei Milliarden Euro erhöht, der Bund gewährt ein unverzinsliches Darlehen in Höhe von einer Milliarde Euro, die Pharmaindustrie zahlt eine Solidarabgabe und der Zusatzbeitrag wird erhöht.

Bei der Kürzung der Ausgaben überschlägt sich derzeit die Kritik von allen Seiten, wobei vor allem die Aussage problematisch ist, dass es nicht zu Leistungskürzungen für die gesetzlich versicherten Patient:innen kommt.

Leistungskürzungen sind in dem Gesetzentwurf auch nicht explizit aufgeführt, die Maßnahmen zum Einsparen von Ausgaben im medizinischen, zahnmedizinischen Bereich und in der Pflege lassen jedoch Zweifel an dieser Prämisse aufkommen. Für Mediziner:innen beispielsweise entfällt ein Honorar, welches sie bei der Aufnahme und Behandlung neuer Patient:innen erhalten. Die Folgen davon sind offensichtlich, es wird noch schwieriger Termine bei Ärzt:innen zu bekommen, vor allem bei Fachärzt:innen und in sowieso unterversorgten, ländlichen Gebieten. Änderungen in der Pflege beschreibt das Gesundheitsministerium mit den kryptischen Worten: „Konkretisierung der im Pflegebudget berücksichtigungsfähigen Berufsgruppen“.

Um das zu verstehen, müssen wir wissen, dass die Pflege in Deutschland aus zwei Töpfen bezahlt wird: Zum einen aus Fallpauschalen, also einem immer gleichen Betrag, den ein Krankenhaus pro Patient:in bekommt, egal wie lange die Patient:innen bleiben, und aus dem Pflegebudget. Das Pflegebudget wurde 2020 eingeführt um die Pflege und dessen Finanzierung zu verbessern. Aus dem Pflegebudget werden die Kosten für das Pflegepersonal bezahlt und es wurde seit der Einführung nachjustiert um eine Doppelfinanzierung des Pflegepersonals aus den Fallpauschalen und dem Pflegebudget zu verhindern. In dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz wird nun aber die Grundannahme gestellt, dass diese Doppelfinanzierung weiterhin besteht, weshalb Kürzungen von 375 Mio. Euro geplant sind. Außerdem darf das Personal, das nicht über die klassische Pflegeausbildung verfügt, nicht mehr über das Pflegebudget finanziert werden. Die Folgen davon sind laut der Deutschen Krankenhaus Gesellschaft bis zu 20.000 gefährdete Arbeitsplätze in der Pflege, was angesichts unseres Fachkräftemangels absurd erscheint. Personal, das dann nicht mehr finanziert werden könnte, wären beispielsweise Physiotherapeut:innen, Ergotherapeut:innen oder Hebammen und die Belastung der Pflegefachkräfte würde zunehmen, weil sie die Tätigkeiten dieser Berufsgruppen mit übernehmen müssten und weniger Zeit für einzelnen Patient:innen aufwenden könnten.

Im zahnmedizinischen Bereich soll eine „Begrenzung des Honorarzuwachses“ stattfinden. Normalerweise wird der Honorarzuwachs für Zahnärzt:innen jährlich zwischen den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen verhandelt. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen wären eine Doppelbelastung für das zahnärztliche Honorar, zusätzlich würden zahnärztliche Leistungen in gewisser Weise budgetiert werden, was eigentlich 2011 aufgehoben wurde. Seitdem wurde die Entwicklung des Honorars nicht an einer Obergrenze definiert, sondern an inhaltlichen Komponenten wie der Morbiditätsentwicklung, Zahl und Struktur der Versicherten, Kosten der Versorgungsstruktur und Veränderung der zahnärztlichen Leistungen. Obwohl die Obergrenze abgeschafft wurde, ist der Anteil zahnmedizinischer Leistungen an den Gesamtausgaben der gesetzlichen Krankenkassen von 9% (2000) auf 6,25 % (2021) gesunken, was zum großen Teil der zunehmend präventionsorientierten Behandlung der Zahnärzt:innen geschuldet ist.

Das größte Problem bei der Begrenzung des Honorarzuwachses ist jedoch, dass die neu eingeführte Parodontitistherapie nicht mehr finanziert werden könnte.

2021 konnten sich die zahnärztlichen standespolitischen Vertreter:innen mit den Krankenkassen darauf einigen, dass eine präventionsorientierte und systematische Parodontitistherapie als neue Leistung den gesetzlich Versicherten zur Verfügung steht. Das ist auch absolut sinnvoll, weil die Erkrankung der Parodontitis, also einer entzündlichen Erkrankung, die zu einem Abbau des Knochens und der Schleimhaut um den Zahn führt, ausgeprägte Auswirkungen auf den gesamten Körper hat und in Deutschland etwa 35 Millionen Menschen betrifft. Eine aktive parodontale Erkrankung ist nach unserem derzeitigen Wissensstand mit Diabetes mellitus, Herz-Kreislauferkrankungen, Rheuma, chronischen Atemwegserkrankungen und Schwangerschaftskomplikationen assoziiert. Gleichzeitig ist aber auch erwiesen, dass sich beispielsweise eine Diabeteserkrankung besser einstellen lässt, wenn die Entzündungsprozesse der Parodontitis zahnmedizinsch kontrolliert werden, was auch die medizinischen Folgekosten erheblich senkt. Da die Therapie erst Mitte 2021 eingeführt wurde und aktuell noch in den Zahnarztpraxen etabliert wird, sind ihre Kosten in der derzeitigen Gesamtabrechnung der Krankenkassen noch nicht ausreichend repräsentiert und das zahnärztliche Honorar wird in diesem Bereich natürlicherweise ansteigen. Da das Honorarwachstum aber durch den Gesetzentwurf begrenzt ist, ist die neu eingeführte Parodontitistherapie für den Versicherten nicht gedeckt, das bedeutet, dass Zahnärzte keine Gewissheit haben, dass sie für die erforderlichen Leistungen auch das entsprechende Honorar erhalten. Dies entspricht de-facto einer Leistungskürzung für den Versicherten, während Patient:innen darauf vertraut, dass für ihn keine Leistungskürzungen entstehen.

Auch die langfristigeren Folgen für Ärzt:innen und Zahnärzt:innen sind nicht zu vernachlässigen: Die finanzielle Belastung trifft Praxen in einer Zeit, in der Kosten für Personal (Fachkräftemangel), medizinische Ausrüstung (Desinfektionsmittel, Handschuhe und Masken) und Energie zusammen mit der Inflation nahezu explodieren. Die Beschneidung des Honorars wird dazu führen, dass junge Ärzt:innen und Zahnärzt:innen weniger gewillt sind neue Praxen zu gründen und ältere Vertreter:innen ihre Praxen frühzeitig aufgeben. Insgesamt besteht an dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz Überarbeitungsbedarf und eine eindeutigere und offenere Kommunikation ist notwendig.

Ein Kommentar

  1. Viel zu freundlich geschrieben. Das große Chaos ist nicht mehr aufzuhalten. Da helfen der Politik auch keine gesetzlichen Auflagen mehr, die uns ablenken sollen. Ich „danke“ den Regierungen für DDR 2.0 nach der friedlichen Revolution. Wir werden abschließen und leider wird die nächste Revolution nicht friedlich bleiben, dank rot-grün ….

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