Spätestens seit der Eskalation des Ukraine-Krieges im Frühjahr 2021 ist die Bedeutung kritischer Infrastruktur in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Angeblich defekte Turbinen und mutmaßliche Geheimdienstoperationen zur Sabotage der Nordstream-Pipelines sind nur Ausschnitte dessen, was mit der Manipulation von kritischer Infrastruktur möglich ist. Nun möchte die Bundesregierung, allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz, Teile des Hamburger Hafens an einen chinesischen Staatskonzern verkaufen. Wie gefährlich ist das?
Es ist schon lange kein Routinetermin mehr im Deutschen Bundestag: Einmal im Jahr müssen die Führungen der drei großen deutschen Geheimdienste, dem Bundesnachrichtendienst (BND), dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem Militärischen Abschrimdienst (MAD), dem Parlamentarischen Kontrollgremium Rede und Antwort stehen. In den letzten Jahren standen vor allem die eigenen Skandale im Vordergrund: Wie konnte der Verfassungsschutz den NSU übersehen oder gar unterstützen? Wieso ist der rechtsextreme Bundeswehrsoldat Franco A., der false flag Anschläge in Deutschland verüben wollte, dem MAD nicht früher aufgefallen? Doch die Welt hat sich schneller gedreht als in den Jahren zuvor und so beschäftigt sich der Kontrollausschuss am 17. Oktober diesen Jahres insbesondere mit der Gefahr, die durch den russischen Angriffskrieg auch auf Deutschland ausgeht.
Die aktuelle Energiekrise beweist, wie abhängig Deutschland von internationalen Verflechtungen ist.
Mehrere Hundertmilliarden Euro kosten die Pakete der Bundesregierung, mit denen die Krise ausgeglichen werden soll, die wissentlich von Russland herbeigeführt wurde, um deutschen Sanktionen und Waffenlieferungen entgegenzuwirken. Gleichzeitig versucht sich die Bundesregierung von dieser Abhängigkeit zu lösen, baut LNG-Terminals, um auf russisches Gas verzichten zu können und enteignet die deutschen Sparten des russischen Staatskonzerns Gazprom, um den Zugriff auf kritische Infrastruktur im eigenen Land sicherstellen zu können.
„Russland ist der Sturm, China ist der Klimawandel“, erklärte Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz während der Sitzung des Kontrollausschusses. In diesem Punkt sind sich alle Experten einig. Russland hat zwar eine gut aufgestellte Cyberarmee, mit der strategische Ziele angegriffen und ausgeschaltet oder sogar übernommen werden können. Doch die Macht der chinesischen Digitalstreitkräfte fällt nur deshalb weniger auf, weil sich die chinesische Staatsführung noch zurückhält. Über die Gefahr, die von Angriffen auf kritische Infrastruktur ausgeht, hat spotlight ausführlich berichtet.
Wenn der Präsident des Verfassungsschutzes aber China als große Gefahr für Sicherheit und Interessen Deutschlands bezeichnet, meint er damit nicht nur Cyberattacken. Chinesische Firmen, insbesondere staatlich kontrollierte Unternehmen, kaufen sich in den letzten Jahren immer häufiger in westliche Infrastrukturprojekte ein. Insbesondere Häfen scheinen im Fokus des chinesischen Interesses zu liegen. So erwarb der Staatskonzern Cosco 2016 zwei Drittel des griechischen Hafens in Piräus, außerdem kaufte der Konzern erhebliche Anteile an den niederländischen Häfen in Rotterdamm und Antwerpen.
Nun soll es auch den Hamburger Hafen treffen. Cosco, ein Konzern der übrigens nur Mitglieder der chinesischen Staatspartei einstellt, möchte ein Drittel des Hafenterminals Tollerort übernehmen – und die Stadt Hamburg zeigt sich mehr als gesprächsbereit. Derzeit liegen die Terminals des Hafens in der Hand der HHLA, einem Unternehmen, welches zu fast 70 Prozent der Stadt Hamburg gehört. HHLA befindet sich in einer finanziellen Schieflage und würde von dem Geld aus China erheblich profitieren. Doch nicht nur Sicherheitsexperten haben erhebliche Bedenken bei dem Verkauf von kritischer Infrastruktur nach China. Insgesamt sechs Ministerien, geführt von allen Koalitionsparteien haben das Vorhaben geprüft. Wirtschafts-, Verkehrs-, Innen-, Verteidigungs- und Finanzministerium sowie das Auswärtige Amt warnen ausdrücklich vor dem geplanten Deal. Der BND bezeichnete das Vorhaben öffentlich als „sehr, sehr kritisch“. Selbst die EU-Kommission kritisiert das Vorhaben.
Die Gefahr ist offensichtlich: Eine Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns würde de facto die Hafentore öffnen für chinesische Geheimdienste.
Diese könnten nicht nur Technologien stehlen und Konkurrenten ausspionieren, sondern in Zeiten politischer Konflikte auch das Terminal sabotieren oder unter einem Vorwand schließen und so die deutsche Wirtschaft sowie die Bevölkerung von Lieferungen über den Seeweg abschneiden. HHLA-Chefin Angela Titzrath betont zwar, Cosco erhalte keinen Zugriff auf strategisches Know-how, wie dies jedoch in der Praxis umgesetzt werden soll, ist mehr als fraglich und würde angesichts der Professionalität chinesicher Dienste wohl kaum möglich sein.
Gekippt werden kann das Vorhaben nur noch, wenn Ende Oktober eine Absage in einer Kabinettssitzung erteilt werden sollte. Aber obwohl zahlreiche Ministerien dies fordern, wird sich Kanzler Scholz wohl durchsetzen können. Er forderte kürzlich die beteiligten Ministerien auf, einen Kompromiss zu erarbeiten. Die chinesische Regierung hingegen drohte bereits damit, dass Schiffe aus China den Hamburger Hafen nicht mehr anlaufen würden, sollte der Deal platzen. Was wie eine mögliche Motivation für Scholz wirkt ist aber vermutlich eher eine leere Drohung. Der Hamburger Hafen ist der drittgrößte in Europa und für viele Waren und Unternehmen das Tor nach Mittel- und Osteuropa. Ein Standort, den sich die chinesische Wirtschaft nicht entgehen lassen wird.
Derzeit sieht alles danach aus, als würde das Geschäft wie geplant stattfinden. Spätestens in zwei Wochen ist es endgültig zu spät, den Deal noch aufzuhalten. Dann wird ein Teil der wichtigsten Logistikinfrasturktur Deutschlands einem chinesischen Staatskonzern gehören. Sollte sich Deutschland dann in einigen Jahren oder Jahrzehnten in einem ähnlich angespannten Konflikt mit China befinden wie jetzt mit Russland, dann könnten Lecks in Gasturbinen lächerlich wirken gegen das Chaos, was uns das Sicherheitsleck im Hamburger Hafen beschert.