Meer aus Plastik – Almerías Gewächshäuser für Europas Gemüse

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Almería ist als andalusische Provinz für ihre Traumstrände und das sonnenreiche Klima bekannt. Damit lockt die Region ganzjährig Tourist:innen ans Mittelmeer. Immer bekannter wird Almería allerdings für ein zweites Meer und von dem wollen Urlauber:innen nichts wissen. Bereits beim Anflug auf Andalusien scheint es jedoch unmöglich die tausenden Gewächshäusern zu ignorieren, die sich über knapp 33.000 Hektar der Region erstrecken. Das entspricht in etwa der Größe Maltas. Sobald man dann einige Kilometer außerhalb der Provinzhauptstadt Almería unterwegs ist, scheinen einen die unzähligen Plastikplanen, Müllberge und informelle Siedlungen schier zu erdrücken. An den Straßenrändern häufen sich Abfälle des Gewächshausdschungels.

Die sehr intensive Art der Landwirtschaft die hier betrieben wird verursacht Probleme für Menschen, Umwelt aber auch Spaniens Image, von denen die meisten Konsument:innen der Importländer nichts wissen (wollen), und das obwohl rund ein Drittel der Obst- und Gemüseernte aus Almerías Gewächshäusern nach Deutschland gelangt. Das entspricht über 500 000 Tonnen jährlich, schier unvorstellbare Mengen.

Das erste Gewächshaus Andalusiens wurde 1963 gebaut und die Technik wurde seitdem stetig erweitert. Der transparente Kunststoff Polyethylen verstärkt die Wärme und hält die Feuchtigkeit aufrecht, womit optimale Anbaubedingungen für Obst und Gemüse aller Art künstlich geschaffen werden. Auf diese Weise kann die Ernte früher als in anderen Regionen eingebracht werden, wobei im Dezember begonnen wird und das Wachstum der Herbst-Winter-Pflanzungen bis März andauert. Damit lassen sich Ernteerträge vervielfachen. Als Stadt mit den meisten Sonnenstunden Europas bietet Almería außerdem ganzjährig perfekte Anbaubedingungen, dennoch gibt es einige Haken.

Illegale Beschäftigung

Meist in unmittelbarer Nähe zu den Gewächshäusern sind über die Jahre slumartige Siedlungen, sogenannte „Chabolas“ entstanden, in denen viele der landwirtschaftlichen Arbeiter:innen leben. Wie viele, das lässt sich kaum abschätzen, ein Großteil von ihnen sind jedoch Geflüchtete oder Saisonarbeitende. 2020 haben rund 400 Schiffe aus Afrika in Almerías Hafen festgemacht, an Bord laut Behörden 12.000 Geflüchtete. Von ihnen hoffen einige auf ein Leben in Europa und nehmen dafür menschenunwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen in Kauf. Mehr zum Thema Flucht über das Mittelmeer gibt es hier.

Im spanischen Almeria, dem weltweit größten Obst- und Gemüseanbaugebiet mit Gewächshäusern, verdienen viele Erntehelfer[:innen] nur 25 Euro am Tag, obwohl der Tariflohn rund 47 Euro als Minimum vorschreibt und die Arbeiter[:innen] täglich bis zu 14 Stunden schuften.

Vanessa Lünenschloß und Jan Zimmermann

Das Erste berichtet 2018 in einer Doku über „Eurpoas dreckige Ernte“ und zeigt schockierende Bedingungen in den Gewächshäusern Südspaniens auf. Es scheint an Allem zu mangeln; an Sicherheitsstandards, fairer Entlohnung und menschenwürdigem Umgang. Das ganze Ausmaß illegaler Beschäftigung ist dabei unmöglich zu erfassen. Die spanische Regierung erhebt zwar Strafen für Landwirt:innen die Arbeiter:innen ohne Papiere beschäftigen, Preisdumping und Klimawandel bringen aber auch erstere in eine schwierige Lage. Landwirt:innen kritisieren die vermeintlich einseitige Berichterstattung scharf und weisen auf die insgesamt sehr prekäre Lage hin, diese werde für alle Beteiligten immer schwieriger.

Einerseits steigt die Konkurrenz durch immer billigere Produzent:innen in Afrika. Im vergangenen Jahr sind Spaniens Gewinne durch den Export von Tomaten um ganze 30% zurück gegangen, unter anderem durch Marokkos massives Angebot. Andererseits leidet das Image der Region stark und über die Frage, ob zu Recht, scheiden sich die Geister. In den vergangenen Jahren wurden unter dem Druck von Menschenrechtler:innen und Journalist:innen Maßnahmen ergriffen um die Lebensbedingungen von landwirtschaftlich Beschäftigten zu verbessern.

(Wasser-) verschmutzung

Neben den Arbeiter:innen leidet unter der intensiv betriebenen Landwirtschaft besonders auch die Umwelt. Obwohl Andalusien als trockenste Region Spaniens gilt, werden hier wasserintensive Gemüse- und Obstsorten kultiviert, direkt am Rand der Tabernas, Europas einziger echter Wüste. Wie ist das möglich?

Zur landwirtschaftlichen Bewässerung werden in Almería rund 80% aller Grundwasservorkommen eingesetzt. Die einst reichliche Vorräte sind inzwischen aber knapp und andere Lösungen müssen her. Daher gibt es an der Küste mittlerweile eine Meerwasserentsalzungsanlage doch das Wasser ist teuer. Außerdem ist Wasserentsalzung bisher noch ein sehr energieaufwendiges Verfahren. Obwohl einige bereits an solarbetriebenen Methoden arbeiten, werden bisher noch fossile Brennstoffe eingesetzt und das ist offensichtlich nicht besonders nachhaltig, ebenso wenig wie der Umgang mit den Unmengen an Plastikmüll die im Gewächshausdschungel anfallen.

Leider landen große Mengen dessen früher oder später im Mittelmeer. Die Konzentration an Mikroplastik, die Forscher:innen regelmäßig bei Meerestieren und in Wasserproben vor der Küste des „mar del pláctico“ bestimmen steigt seit Ausbau der Gewächshäusern stetig. Dass Plastik im Meer landet, hängt unter anderem mit Chinas Import Stopp für Plastikabfälle zusammen, denn seitdem ist noch kein ausreichend tragfähiges Recyclingsystem entstanden. Während laut andalusischer Verwaltung zwar 85% recycelt werden, lande der restliche Teil in der Umwelt und zwar immerhin 5000 Tonnen jährlich. Schließlich müssen die Planen der Gewächshäuser alle drei bis vier Jahre erneuert und der Abfall entsorgt werden.

Aber wer trägt die Verantwortung für Arbeitsbedingungen und Umweltschäden? Ist es der spanische Staat mit seiner mangelnden Kontrolle oder die marokkanische Konkurrenz? Sind es die Landwirt:innen selbst oder die Konsument:innen in Deutschland und co.? Übernehmen tut sie bisher auf jeden Fall niemand.

Fest steht, niedrige Dumpingpreise verschärfen die Situation.

„Im  Dezember [2019] ging der Preis für ein Kilo Gurken auf acht Cent zurück.“ Ein Kilopreis von 65 Cent wäre aber nötig, um kostendeckend zu arbeiten. Das ist sehr hart, und viele Bauern müssen ihre Felder aufgeben.“

Lidia Martinez Walbrecht

Wir wollen zu jeder Jahreszeit knackiges Obst und Gemüse und das bitte zum günstigsten Preis. Wie der zustande kommt und wer diesen wirklich bezahlt, das ist für viele erstmal zweitrangig.

Aber auch EU-Subventionen werden kritisiert, von Menschenrechtler:innen aber auch von den Produzent:innen selbst. Insgesamt 58 Milliarden Euro schüttet die EU jedes Jahr an Agrarsubventionen aus. Davon gehen rund 70 Prozent als Direktzahlungen an die Landwirte und für jeden Quadratmeter landwirtschaftlicher Fläche gibt es Subventionen. Bei der Vergabe spielen Sozialstandards wie Arbeitsrecht und Mindestlöhne keine Rolle. Außerdem würden Vergabevorgaben nicht mehr dem Stand heutiger Technologien entsprechen. Beispielsweise gelten effiziente, wassersparende Hydrokulturen bisher laut EU-Recht nicht als ökologisch. Dadurch gibt es für Landwirt:innen bisher keinen Anreiz, diese Technologie breit einzusetzen.

Zwischen Armut und Elend, Wassernot und Plastikverschmutzung zeichnen sich dennoch einige Perspektiven ab. Die Anzahl an biologisch bewirtschafteten Betrieben wächst in Europa stetig und moderne Technologien können helfen, Umweltschäden zu minimieren. In Andalusien kommen flächendeckend an Stelle von chemischen Pestiziden bereits Raubmilben zur Schädlingsbekämpfung zum Einsatz und wasserschonende Tröpfchenbewässerung ist gängige Praxis geworden. So bisher kann es dauerhaft aber eben auch nicht weitergehen.

Schockierend ist vor diesem Hintergrund, dass allein die Deutschen jährlich zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel wegschmeißen, 38% davon sind Obst und Gemüse. Da kann jede:r selbst unmittelbar ansetzen. Hilfreiche Tipps gibt es hier von Spotlight Redakteurin Gesche.

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